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FÖRDERBEREICH WIRTSCHAFT

Fahrplan für den Rückzug – Moderation von Unternehmensnachfolgen in KMU

Jährlich werden ca. 6.000 der bestehenden Unternehmen in Baden-Württemberg übergeben. Um Kleinst- und kleine Betriebe in diesem komplexen Prozess zu unterstützen und damit die mittelständische Wirtschaftsstruktur im Land zu festigen, fördert das Wirtschaftsministerium aus Mitteln des ESF Moderator/innen zur Sicherung der Unternehmensnachfolge. Andrea Winkler, Nachfolgemoderatorin bei der Handwerkskammer Karlsruhe, beantwortet Fragen zu ihrer Tätigkeit.

Frau Winkler, Sie sind Nachfolgemoderatorin bei der Handwerkskammer Karlsruhe. Was genau ist Ihre Aufgabe?
Andrea Winkler: Das ESF-Projekt beinhaltet die Sensibilisierung für die Nachfolge, Begleitung des Nachfolgeprozesses von der Suche nach einem Übernehmer bis zur Übergabe sowie Netzwerkarbeit. Neben Informationsveranstaltungen gehe ich auch in die Einzelberatung. Dann kann niemand mehr das Thema verdrängen mit der Ausrede: „Der Weg nach Karlsruhe war einfach zu weit.“

Wie akut betrifft das Thema die Wirtschaft?
Winkler: Der Altersdurchschnitt steigt überall. Gerade die Gründergeneration steuert allmählich auf die Rente zu. In Baden-Württemberg rechnen wir damit, dass in den nächsten fünf bis acht Jahren etwa die Hälfte aller Betriebe einen neuen Inhaber sucht. Von 19.000 Handwerksbetrieben, die wir haben, sind bei etwa 6.840 (=36 %) die Inhaber heute schon über 50 Jahre alt.

Welchen Fahrplan empfehlen Sie Unternehmern, die Ihren Rückzug planen?
Winkler: Mit 50 Jahren sollte man anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Da sagen mir manche natürlich: „Was soll das, ich arbeite noch mindestens zehn Jahre!“ Aber so ein Prozess dauert länger, als viele denken. Sie müssen ihr Unternehmen analysieren, sich mit steuerlichen Fragen beschäftigen, mit der Organisation und ihrem Standort. In vielen Innenstädten genießen Handwerksbetriebe nur dann Bestandsschutz, wenn sie innerhalb der Familie übergeben werden. Und dann ist da natürlich die wichtigste Frage von allen: Wer ist der richtige Nachfolger oder die richtige Nachfolgerin?

Und vor allem: Wo findet man sie?
Winkler: U.a. im Netz: Wir haben eine eigene Betriebsbörse und sind zugleich Regionalpartner bei nexxt-change.org, welche seitens der KfW-Bankengruppe betrieben wird und die Betriebe und Interessenten zusammenführt.

Wie geht es dann weiter?
Winkler: An erster Stelle steht dann, dass es menschlich stimmt. Die Übergebenden müssen mit ihrem Nachfolger auskommen, ihm guten Gewissens ihr Lebenswerk überlassen. Wenn kein Vertrauen da ist, ist das Loslassen schwer, wenn nicht unmöglich. Auch sind die Finanzen wichtig, aber wenn beide Seiten miteinander gut können und die Zeit nicht drückt, lassen sich Lösungen finden.

Beratung, Kandidaten-Suche, Rückstellungen: All das kostet Zeit und Geld. Wie stark belastet das eine Firma?
Winkler: Unsere Beratung ist kostenfrei, weil wir vom europäischen ESF-Fonds finanziert werden. Herausforderungen können eher in anderen Bereichen lauern. Hat sich ein Traditionsbetrieb auf die Digitalisierung vorbereitet? Wie gut ist die Buchführung? Welche Altersstruktur herrscht in der Belegschaft? Sind Maschinen und Produkte noch zukunftsfähig? Lässt der Kaufpreis für den Übernehmenden Luft für eine strategische Neuausrichtung? Wir helfen dabei und durchleuchten gemeinsam die Unterlagen.

Aber wird diese Chance auch genutzt?
Winkler: Das ist ganz unterschiedlich. Manche Inhaber schieben das Thema jahrelang vor sich her. Andere wollen die Dinge am liebsten sofort regeln. Besonders interessant für eine Übernahme sind Betriebe, die kapital- und ausbildungsintensiv sind, also etwa Elektro- oder Metallbau-Unternehmen. Auch ein Hörgeräte-Akustiker wird in der Regel daran interessiert sein, einen Nachfolger einzuarbeiten – das ganze Insider-Wissen, was er hat, würde schwer in eine Übergabe-Tabelle passen. Für andere wiederum mag die Geschäftsaufgabe die bessere Variante sein.

Den Betrieb aufzugeben ist also auch eine Option? Ist das kein Tabu?
Winkler: Es ist eine der Möglichkeiten. Wir wägen immer ab, welche am besten passt. Wenn ein Betrieb nur wenige Maschinen besitzt, die auch noch in einem veralteten Zustand sind und kein Personal vorhanden ist, dann ist er für potenzielle Nachfolger eher uninteressant. Ein Bautenschutz-Techniker, der seine gesamte Ausrüstung auf kleinstem Raum lagert, sich zu hohen Gewährleistungen absichern muss und nur für sich alleine arbeitet, dürfte eher an eine Betriebsaufgabe denken als ein Handwerksbetrieb mit zehn Gesellen. Auch das müssen wir offen diskutieren.

Foto: Fotoatelier Christiane

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